Skoliose ist eine strukturelle, meist dreidimensionale Fehlstellung der Wirbelsäule mit seitlicher Verkrümmung und Rotation der Wirbelkörper.
Lange Zeit galt körperliche Schonung als die Devise.
Heute jedoch weiß man: Gezieltes Krafttraining kann für Menschen mit Skoliose ein Schlüssel zu mehr Stabilität, weniger Schmerzen und verbesserter Körperhaltung sein – vorausgesetzt, es wird richtig angewendet.
1. Medizinische Grundlagen
Eine Skoliose liegt definitionsgemäß vor, wenn der Cobb-Winkel auf einer Röntgenaufnahme 10 Grad oder mehr beträgt.
Abhängig vom Alter und der Ursache unterscheidet man:
- Kongenitale Skoliose (angeborene Fehlbildung)
- Idiopathische Skoliose (häufigste Form, v. a. bei Jugendlichen)
- Degenerative Skoliose (altersbedingt durch Bandscheibenverschleiß)
- Neuromuskuläre Skoliose (z. B. bei Muskeldystrophie, Zerebralparese)
Die Auswirkungen reichen von leichter Asymmetrie bis hin zu massiven Einschränkungen in Atmung, Bewegung und Schmerzfreiheit.
Besonders entscheidend: die muskuläre Kontrolle der Wirbelsäule.
2. Krafttraining – Warum es bei Skoliose so wichtig ist
Ein funktionell angepasstes Krafttraining verfolgt drei Hauptziele:
- Aufbau von Haltungskompetenz, Körperspannung und Bewegungsbewusstsein
- Korrektur muskulärer Dysbalancen, die durch die Krümmung entstehen
- Stärkung der tiefen Rumpfmuskulatur, um die Wirbelsäule zu stabilisieren
Zahlreiche Studien zeigen: Skoliose-Betroffene profitieren besonders von kombinierten Kraft-, Koordinations- und Haltungstrainings.
Die Angst vor "Fehlbelastung" ist oft unbegründet – sofern die Ausführung kontrolliert, bewusst und individuell angepasst erfolgt.
3. Grundprinzipien für sicheres und wirksames Krafttraining bei Skoliose
Vor dem Einstieg:
- Ärztliche Abklärung (Cobb-Winkel, Krümmungsform, Begleiterkrankungen)
- Optional: physiotherapeutische Vorbehandlung (z. B. Schroth-Therapie)
- Haltungskontrolle durch Videoanalyse oder Spiegeltraining
Trainingsmethodik:
- Fokus auf Stabilität vor Dynamik
- Qualität vor Quantität: langsame, saubere Ausführung
- Symmetrisches Training, aber mit asymmetrischer Korrekturarbeit
- Beidseitiger Muskelaufbau, mit Schwerpunkt auf der schwächeren Seite
- Training mit Körpergewicht, Geräten oder freien Gewichten – je nach Level
4. Empfohlene Übungskategorien
A) Core-Stabilisation (zentrale Grundlage!)
- Plank (ggf. auf Ellbogen und Knien für Anfänger)
- Bird Dog (Diagonalstrecken auf Händen und Knien)
- Seitstütz – besonders bei lumbaler Krümmung
- Dead Bug – kontrollierte Bewegung mit aktiver Lendenstütze
- Beckenlift (Brücke) mit beidseitigem und einbeinigem Fokus
B) Rückenkräftigung
- Rudern am Kabelzug / mit Widerstandsband
- Latziehen zur Brust (nicht hinter den Kopf!)
- Superman-Variationen (vorsichtig dosieren!)
- Reverse Flys mit leichten Hanteln für die hintere Schulter
C) Unterkörper & funktionelle Ganzkörperkraft
- Kniebeugen (mit Körpergewicht oder leichtem Zusatzgewicht vorsichtig)
- Ausfallschritte (in beide Richtungen zur symmetrischen Aktivierung)
- Beinpressen – wenn kontrolliert und rückenschonend eingesetzt
- Step-ups – trainieren Balance und Rumpfkontrolle
5. Vorsicht bei diesen Übungen
Einige Übungen können bei unkontrollierter Ausführung zu einer Verstärkung der Fehlstellung oder Überlastung führen.
Dazu gehören:
- Kreuzheben – nur unter Anleitung und mit perfekter Technik
- Überkopfdrücken – bei thorakaler Skoliose mit besonderer Vorsicht
- Einseitige Belastungen – Vorsicht bei Kettlebell-Swings oder Suitcase Carries
- Rotationstraining mit Widerstand – bei starker Rotation problematisch
6. Training mit Korsett – möglich und sinnvoll
Jugendliche, die ein Skoliosekorsett tragen, können unter Anleitung gezielt trainieren.
Übungen sollten jedoch angepasst werden – mit Fokus auf Atemtechniken, Beweglichkeit und alltagsnahem Muskelaufbau.
7. Trainingshäufigkeit und Belastungssteuerung
- 2–4 Einheiten pro Woche, je nach Leistungsstand
- 12–15 Wiederholungen pro Satz, moderate Intensität
- Keine Maximalgewichte, sondern kontrollierte Kraftausdauer
- Kombination mit Mobilisation, Atemübungen und ggf. Schroth-Elementen ideal
8. Fazit – Krafttraining als aktives Werkzeug gegen Skoliose
Skoliose ist keine Trainingssperre – im Gegenteil. Mit durchdachtem Krafttraining können Betroffene ihre Haltung verbessern, Beschwerden reduzieren und ihre Lebensqualität nachhaltig steigern.
Wichtig sind individuelle Anpassung, gezielte Stabilisation und langfristige Motivation.
Kraft bedeutet Kontrolle. Kontrolle bedeutet Freiheit.
Und Freiheit bedeutet Lebensqualität – auch mit Skoliose.